Die internationale Gesellschaft Afghanistans zwischen Krieg und Hoffnung

Erkundigt sich jemand über mein nächstes Reiseziel würde eine Antwort wie Rimini, Ibiza oder French Riviera wohl kaum überraschen. Antworte ich aber mit Afghanistan, gewinne ich sofort die uneingeschränkte Aufmerksamkeit des Zuhörers. Was wissen wir eigentlich über Afghanistan? Seit Jahren steht Afghanistan in den Schlagzeilen, zuletzt vermehrt aber immer wieder ausschliesslich als Kriegsschauplatz.

Etwa 126,000 ausländische Truppen sind momentan in Afghanistan in einer massiven Offensive gegen die Taliban involviert.  Seit über 30 Jahren kennt das Land keinen Frieden mehr und trotzdem gibt es eine kleine internationale Gesellschaft, die gelernt hat, mit dieser Tatsache zu leben.

Das Abenteuer beginnt schon beim Check-in am Frankfurter Flughafen wo Safi Airways direkte Verbindungen nach Kabul anbietet. Die Dame von Safi Airways stellt in freundlichem, aber bestimmten Ton sicher, dass es sich bei meiner Reise nicht etwa um einen Urlaub handelt. In der Zwischenzeit hat sich auch schon mein Gepäck auf dem Rollband verabschiedet.

Kaum in Kabul gelandet, wird man sich gleich bewusst, dass man sich in einem Kriegsgebiet befindet. Helikopter, UN Flugzeuge, und Soldaten sind auch am persischen Neujahrestag (Nowruz) im Einsatz. In der Luft über der Stadt schwebt ein Luftschiff, dass mit Überwachungskameras ausgestattet ist, um die Lage am Boden zu beobachten. Auf der Strasse gibt es alle paar 100 Meter Strassensperren, die im Ernstfall aufständische Rebellen aufhalten sollen. Allerdings stellt sich die Frage wie stark kann die Gegenwehr eines Polizisten oder Sicherheitsbeamten bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von weniger als USD 200 sein?

Die Immobilienpreise sind in Kabul in den letzten 2 Jahren um über 100% gestiegen. Wer sich den Luxus leisten will, in einem Quartier zu wohnen, dass man noch als einigermassen sicher bezeichnen kann, zahlt für ein 4 Zimmerhaus stolze USD 10,000 im Monat. Ausser der internationalen Gesellschaft und einigen wenigen reichen Afghanen, kann sich dass sowieso niemand leisten.

Im Vergleich zahlt eine 5-köpfige Arbeiterfamilie eine Miete von etwa USD 200 im Monat. Für den 23-jährigen Fahim Jalalzada, der beim südafrikanischen Mobilfunkanbieter MTN in Kabul arbeitet, bleibt ein Monatslohn von USD 1,000 ein unerreichbarer Traum. Um seine Familie finanziell unterstützen zu können, steht er um 4:00 Uhr morgens auf. Nach dem Gebet besucht er die Uni, bis er um 9:00 Uhr bei MTN die Arbeit aufnimmt. Kabul liegt 1,760 m.ü.M. und man hat den Eindruck, der Krieg hätte die inzwischen so staubige Stadt regelrecht ausgetrocknet. Trotz der schwierigen Lage und der anhaltenden Probleme, hat Fahim nicht aufgegeben, an eine bessere Zukunft für sich und seine Familie zu glauben. Nur zu gerne, würde er in Zukunft seiner Familie mehr als nur die Grundnahrungsmittel kaufen können.

Wer es sich jedoch leisten kann, findet in der Zeitschrift "Kabul Scene Magazine" eine grosse Anzahl internationaler Restaurants die von Italienisch, Thai, Koreanisch, Chinesisch, Iranisch bis zum schweizerischen Käsefondue und Raclette reichen.  Diese Restaurants werden natürlich fast ausschliesslich von der internationalen Gesellschaft besucht. Diese hat sich inzwischen daran gewöhnt die kulinarischen Köstlichkeiten mit aufgesetztem Helm und angezogener Sicherheitsweste zu geniessen. Auf Wunsch ist der Restaurantbesitzer auch gerne bereit für seine Kunden ein Taxi zu bestellen. Der Kunde erhält dann von der angerufenen Logistikfirma einen Code, der dann mit dem des Taxifahrers zu vergleichen ist.

Der grosse Teil der internationalen, weniger mutigen Gesellschaft verzichtet auf Restaurantbesuche und Taxifahrten. Ein Amerikanischer Bauunternehmer erklärt mir, dass 70% der internationalen Gesellschaft hinter dem Zaun, auf einer sicheren Militärbasis lebt und jeglichen Kontakt mit der Grossstadt vermeidet. Diese Personen entnehmen nur durch Berichte wie ernst die Lage ausserhalb ihrer Stützpunkte ist. Ein objektives Bild der Situation, können sie sich kaum machen. Viele Organisationen wie z.B. die UN, hat sehr scharfe Sicherheitsvorschriften. Mitarbeiter können nicht einmal unbeaufsichtigt Lebensmittel einkaufen gehen.

Einige wenige die ihre Fitness auch in einem ungesunden Umfeld testen wollen, sieht man abends eher gemütlich zum alten "British Fort" joggen.  Ein Reporter eines bekannten Amerikanischen Senders erzählt mir, dass etwa alle 4-5 Wochen mit einer Bombenexplosion in der Hauptstadt zu rechnen ist. Nichts desto trotz geht das Leben wie in jeder anderen Grossstadt weiter.

Im Februar 2003 wurde der britische Geheimdienstler Colin Berry im Hotel Intercontinental in ein Schussgefecht involviert bei dem 2 Afghaner ums Leben kamen. Heute kann man an kühlen Abenden nach etwa 3 Sicherheits Checkpoints, gemütlich eine heisse Schoggi mit Sicht auf Stadt und Berge geniessen.

Nur gerade 15 Minuten westlich vom Hotel Intercontinental befindet sich der Kabul Golf Club, der dem Ruf als gefährlichster Golf Club der Welt, alle Ehre macht. Selbstmordattentaeter hatten auf der Strasse, die zum Golfclub führt, 12 Personen in den Tod gerissen. Der Golfplatz wurde auf Landmienen untersucht und alte Soviet Panzer sowie Raketenwerfer vom Platz entfernt. Seit die Taliban angefangen haben, gezielt Ausländer zu attakieren wuchert der marode Golfplatz ohne jegliche Besucher vor sich hin. Viele internationale Organisationen haben ihre Anzahl Mitarbeiter aufs Minimum reduziert oder ganz abgezogen.

Der Golfplatz liegt direkt am Qarghasee, der Kabul mit Trinkwasser versorgt. Freizeitaktivitäten wie Pedalos mieten und am See entlang reiten, vermitteln den 4 Millionen Einwohnern Kabuls eine sureale heile Welt. Im nahegelegenen Spoymaj Restaurant kann man unter Sonnenschirmen die traditionelle afghanische Küche und die Aussicht auf den See geniessen. Nur zu schnell erinnert der Lärm der kreisenden amerikanischen Blackhawk Helikopter wieder an den Alltag in Afghanistan.

Dieser Alltag sollte sich aber demnächst durch zukünftige Entwicklungsprojekte ändern. Eines der Grossprojekte ist der Bau einer komplet neuen Öko-Stadt, angrenzend an Kabul, die "Dehsabz" oder New Kabul City getauft wurde. Eine Anzahl Europäische Firmen wurden beauftragt Wasser-, Energiemanagement- und Landschaftsarchitekturstrategien zu entwickeln. Die Pläne sind bereits aufgestellt. Ein 1:200,000 Model der Stadt existiert auch schon und Arbeitstellen werden immer noch ausgeschrieben. Das Projekt wird vorallem von Japan unterstüzt und sucht private Investoren. Der Bau erstreckt sich über die nächsten 20 Jahre und die Kosten werden auf USD 50 Mio. geschäzt. Pläne in 3D und alle weiteren Informationen sind auf der Webseite der Dehsabz City Development Authority (www.dcda.gov.af) erhältlich.

Wann und ob sich diese Projekte verwirklichen, hängt hauptsächlich vom Erfolg der Internationalen Streitkräfte (ISAF) ab. Dazu muss Afghanistan vollständig von der Talibanmacht befreit werden. Für die Ausführung dieses heiklen Unterfangens hat President Obama die Truppen erhöht und US Kommandant General Stanley McChrystal zum obersten Befehlshaber ernannt.

Der Krieg geht weiter und trotz allen Gegensätzen, bleibt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft die gleiche für die Internationale Gesellschaft sowie für Fahim und seine Landsleute.